Hanning Voigts

Journalist und Autor.

Medienkompetenz in Zeiten von #Lügenpresse

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Zu Beginn gleich eine Binsenweisheit: Journalismus funktioniert anders, seit das (mobile) Internet allgegenwärtig ist. Neue Kanäle sind entstanden, es gibt neue Möglichkeiten, journalistische Inhalte zu präsentieren. Vor allem aber haben Social Media wie Facebook und Twitter die Art und Weise revolutioniert, in der Journalist_innen mit ihrem Publikum interagieren können: Über Kommentare und Tweets erreichen Lob und Kritik jede Redaktion direkt und unmittelbar – und auch die einzelnen Journalist_innen, in Echtzeit auf dem Smartphone in ihrer Hosentasche. Diese neuen Feedback-Möglichkeiten sind grundsätzlich ein großer Gewinn für Medienmenschen. Sie lernen ihr Publikum besser kennen, sie bekommen laufend Hinweise, was ihren Leser_innen wichtig ist, sie werden auf unterbeleuchtete Aspekte ihrer Themen und blinde Flecken im eigenen Denken und Schreiben aufmerksam gemacht. Und das ist für guten Journalismus, der regelmäßig sich selbst und die eigenen Gewohnheiten hinterfragen sollte, keinesfalls entbehrlich: Wie jede Form von sozialem Diskurs ist er auf Reaktionen angewiesen, um funktionieren zu können. Medien brauchen Medienkritik.

Doch interessante neue Sichtweisen, gute Hinweise und bedenkenswerte Kritik sind im journalistischen Social-Media-Alltag leider nicht die Regel. Vielmehr machen die meisten Journalist_innen – ähnlich wie manche politische Aktivist_innen – die unschöne Erfahrung, dass Kanäle wie Twitter und Facebook regelmäßig dazu genutzt werden, sie mit Hass und wüsten Beleidigungen zu überschütten. Mit dem Schlagwort „Lügenpresse“ hat sich seit einiger Zeit sogar ein eigener politischer Kampfbegriff (re)etabliert, der es möglich macht, noch das platteste Ressentiment gegenüber jeder Form von massenmedialer Kommunikation (und gegenüber allen Menschen, die mit und in den Medien ihr Geld verdienen) als scheinbar aufklärerische Haltung zu verkaufen.

Durch die „Montagsmahnwachen für den Frieden“, den Streit um die Berichterstattung zur Ukraine-Krise und Pegida hat dieser „Lügenpresse“-Diskurs seit dem vergangenen Jahr bei Rechten wie Linken eine echte Konjunktur erfahren. Offenbar hat das auch die ressentimenthafte Vorstellung von professionellem Journalismus verbreitet, die mit ihm einhergeht. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die Vorwürfe, die Journalist_innen mit dem impliziten oder expliziten Hinweis „Lügenpresse!“ gemacht werden, meist derart wahnwitzig sind, dass man sie nicht als Medienkritik erst nehmen sollte, jede Erwiderung auf sie vielmehr reine Zeitverschwendung ist. Denn das klingt etwa so: „Ihr seid doch alle gekauft, ihr schreibt doch nur, was eure Chefs euch sagen, ihr dürft die Wahrheit doch gar nicht senden, ihr werdet doch von der Regierung / den USA / der NATO / den Bilderbergern / den Zionisten / den Juden kontrolliert.“ Meisten folgen viele Ausrufezeichen.

Im Einzelfall treibt diese Form von „Medienkritik“ erstaunliche bis bizarre Blüten. Etwa, wenn in einem Text über eine aus Syrien nach Frankfurt geflüchtete Familie Bombenangriffe durch das Regime erwähnt werden und es dann solche Reaktion über Twitter gibt: „Ist eigentlich jeder Bericht von euch Kriegstreiber Medien über Flüchtlinge aus Syrien eine Gelegenheit für noch mehr Propaganda?“ Oder: „Journalismus – ein dreckiges Geschäft, das Flüchtlinge für Kriegspropaganda gegen Syrien instrumentalisiert.“ Solche Tweets sind ein Hinweis darauf, wie stark die These von der gesteuerten „Lügenpresse“, wo irgendein Mächtiger nach Gutdünken Tageslosungen ausgeben kann, bei manchen Leuten zur fixen Idee geworden ist. In diesem Fall offenbar so stark, dass selbst ein Augenzeugenbericht darüber, dass das syrische Regime im Bürgerkrieg Waffen einsetzt, wie selbstverständlich für Propaganda gehalten wird.

Ich möchte hier nicht weiter erörtern, was die Medienmacher_innen selbst zum „Lügenpresse“-Diskurs beigetragen haben. Haben sie sicher. Vielmehr möchte ich einer Beobachtung der letzten Monate nachgehen: Viele von denen, die da „Lügenpresse“ schreien, haben keinen blassen Schimmer, wie Redaktionen funktionieren und wie Journalist_innen arbeiten. Das fängt schon mit der offenbar nicht aus der Welt zu schaffenden Phantasie an, jeder Zeitungstext müsse vor dem Druck politisch gecheckt und „abgenickt“ werden. Solche Ideen liegen zum Teil sicher in einem autoritären Weltbild begründet, in dem Medieninhalte nur als Folge von Befehlen von oben und Gehorsam willfähriger Schreiber_innen vorstellbar sind. Sie liegen aber möglicherweise auch daran, dass wir Journalist_innen unseren Job zu selbstverständlich nehmen und ihn zu wenig erklären. Vielleicht wäre es sinnvoll, wieder stärker über professionelle Standards zu sprechen, wieder mehr Transparenz über die eigene Arbeitsweise herzustellen – für alle, die noch an einer sachlichen Debatte interessiert sind. Wir könnten darüber sprechen, dass Journalist_innen nur das im Indikativ schreiben, was sie beweisen können. Dass die uralte Trennung zwischen Meldung und Kommentar auch heute ihren Sinn hat. Wie Recherche funktioniert, warum Gegenchecks nötig sind. Und so weiter.

Anfang des Jahres habe ich – in sehr sarkastischer Form – versucht, über eine Serie von Tweets „Grundlagen der Medienkompetenz“ zu vermitteln. Was eigentlich als schräger Scherz gedacht war, wurde so stark kommentiert, geteilt und weitergesponnen, dass ich immer mehr den Eindruck hatte, dass es aktuell bei vielen Leser_innen ein echtes Bedürfnis nach mehr Austausch über Journalismus und Medienkritik gibt. Das ist im Grunde eine Chance: Je mehr Menschen einen Eindruck davon bekommen, wie Medien arbeiten, desto weniger verfängt das Gebrüll von der „Lügenpresse“. Daher seien hier als erster Schritt meine Lektionen in Medienkompetenz noch einmal wiedergegeben. Bei Bedarf und Gelegenheit müsste die Sammlung sicher erweitert und erläutert werden. In diesem Sinne: Miteinander reden statt „Lügenpresse“ schreien! To be continued.

Lektion 1. Bericht: Ein Journalist schreibt auf, was passiert ist. Kommentar: Ein Journalist schreibt seine Meinung auf.

Lektion 2. Jedes Medium (Zeitung, Sender) beschäftigt mehrere Journalisten. Diese haben oft unterschiedliche Meinungen.

Lektion 3. Ein Feature ist ein Text, in dem ein Journalist Eindrücke und Stimmung vom Ort des Geschehens schildert.

Lektion 4. Journalisten haben je zwei Augen und sehen nicht dasselbe. Ihre Berichte können daher voneinander abweichen.

Lektion 5. Die Welt ist komplex und frustrierend. Journalisten sind daran nur zum Teil schuld.

Lektion 6. Wer nur die Bestätigung seiner eigenen Meinung sucht und Denkanstöße scheut, sollte keine Zeitung lesen.

Lektion 7. Journalistische Recherche ist was anderes als googeln.

Lektion 8. Wenn ein Journalist eine andere Meinung vertritt als man selbst, ist er nicht gleich „gekauft“.

Lektion 9. Journalistische Texte entstehen meist unter extremem Zeitdruck. Muss man wissen.

Lektion 10. Medienkritik ist richtig und wichtig. „Lügenpresse!“ ist keine Medienkritik, sondern Ressentiment.

 

P.S.: Ein kleiner Nachtrag vom 6. Juni: Das NDR-Magazin Panorama hat einen sehr sehenswerten Beitrag zum Thema „Lügenpresse“ gemacht und dabei auch mit Medienkritiker_innen gesprochen. Der Film findet sich z.B. hier auf Youtube.

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