Hanning Voigts

Journalist und Autor.

18. Oktober 2019
von Hanning Voigts
1 Kommentar

Hört ihr die Stimmen?

Halle. Vor zehn Tagen versuchte ein bewaffneter Neonazi an Jom Kippur, in die dortige Synagoge einzudringen, scheiterte aber an der Holztür des Gotteshauses. Daraufhin tötete der 27-Jährige in der Umgebung der Synagoge zwei Menschen und verletzte mehrere weitere schwer. In einem umfassenden Geständnis bestätigte der Mann, dass seine Tat antisemitisch und rechtsextrem motiviert war. Der tödliche rechte Terroranschlag, gerade einmal vier Monate nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, hat die deutsche Öffentlichkeit erschüttert und eine Debatte über Antisemitismus und Rassismus in Deutschland und die Gefahr durch rechte Terrorist*innen ausgelöst. Weiterlesen →

16. Juli 2019
von Hanning Voigts
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Demonstrationen werden nicht genehmigt

Mein Beruf als Reporter bringt es mit sich, dass ich häufig über Demonstrationen schreibe. Sei es, dass ich eine Demonstration besuche und hinterher darüber berichte, sei es, dass ich meine Leser*innen vorab über eine geplante Demonstration informiere, bei der davon auszugehen ist, dass sie viele Leute interessiert. Durch Leser*innenkommentare und regelmäßige Diskussionen auf Twitter habe ich dabei in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass viele Leute, die nicht regelmäßig mit Demonstrationen zu tun haben, immer wieder ähnlichen Missverständnissen unterliegen. Besonders häufig betrifft das Grundlagen des Versammlungsrechts. In diesem Text möchte ich daher mit dem sehr oft zu hörenden Irrtum aufräumen, dass Versammlungen (so nennen Jurist*innen Demonstrationen und stationäre Kundgebungen unter freiem Himmel) von staatlichen Behörden „erlaubt“ oder „genehmigt“ werden müssten. Wer mir auf Twitter folgt, dürfte wissen, dass ich dieses Thema dort seit Jahren immer wieder beackere. Weil genanntem Irrtum immer wieder auch Journalist*innen und sogar Polizist*innen oder Ministerpräsidenten unterliegen, scheint es zu dem Thema durchaus mehr erklärende Texte zu benötigen. Am Ende des Textes erkläre ich auch, warum mir dieses Thema so wichtig ist. Disclaimer: Ich bin Journalist, kein Jurist. Dieser Text richtet sich an interessierte Laien, Fachleuten dürften ihn ungenau und verkürzt finden. Bei wirklichen Fehlern bin ich froh über einen Hinweis. Weiterlesen →

4. Januar 2017
von Hanning Voigts
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Zur Debatte um Köln

Wie viele andere auch hat mich die Debatte um die Silvesternacht in Köln in den letzten Tagen sehr beschäftigt. Da ich die Debatte um die Verhältnismäßigkeit von Polizeieinsätzen im allgemeinen und um die Methode des Racial Profiling im speziellen sehr relevant, die bisherige Debatte aber unbefriedigend finde, wollte ich eigentlich selbst etwas zur Problematik schreiben. Weil ich dazu aber gerade nicht komme, folgen hier wenigstens einige Gedanken und Links zu Texten, die ich lesenswert finde.
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13. Dezember 2016
von Hanning Voigts
3 Kommentare

Mitleid mit Beate Zschäpe

Es gehört zu den unangenehmen Seiten des Berufs als Journalist_in, dass man ständig mit schweren menschlichen Schicksalen konfrontiert ist. Unfälle, Kriminalität, Flucht, Obdachlosigkeit, Gewalt und Krankheit – mit all diesen Dingen haben Journalist_innen fast täglich zu tun, selbst die, die nicht aus Kriegs- und Krisengebieten berichten. Da fällt es nicht immer leicht, die professionelle Distanz zu wahren. Das Leid mancher Menschen, über die sie berichtet haben, kann Reporter_innen noch nachhängen, wenn ihre Berichte schon längst veröffentlicht und wieder vergessen sind.

Auch eine Kollegin von der Süddeutschen Zeitung hatte neulich Mitleid mit einer Frau, über die sie von Berufs wegen schreiben musste. Schon in der Überschrift ihres Textes erfahren wir, dass diese Frau „ihre einzige Vertraute“ verloren habe. In den ersten beiden Absätzen heißt es, dass besagte Frau den Tod „ihrer wichtigsten Bezugsperson“ verkraften müsse. Ihre kürzlich verstorbene Großmutter sei nämlich einer der wenigen Menschen gewesen, zu dem sie „eine enge emotionale Bindung“ gehabt habe. Und da es im Leben der Frau gerade generell nicht so gut laufe, falle „der Tod ihrer geliebten Oma in eine ohnehin schwierige Zeit“. Passend zu diesen mitleiderregenden Zeilen ist auf dem Foto über dem Text eine Frau mit feuchten Augen zu sehen, die traurig in die Ferne starrt.

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24. Oktober 2016
von Hanning Voigts
5 Kommentare

Ich mach mal was anderes.

„Meine Firma, also Generaldirektor Blume und ich, äh, haben uns, äh… sind sich, sind äh, übereingekommen, dass ich, äh, meine Arbeitskraft künftig weniger – also eher gar nicht –, auf die Firma konzentriere und dafür meine Erfahrungen mehr meinem… meinem Heim, und dem Wohl, also dem Wohl meiner Familie, äh, widme, widmen, zu widmen. Nun esst, damit es nicht kalt wird.“
„Was sagst du da!?“
„Es ist eine neue, mehr ins Private zielende Tätigkeit.“
„Was heißt denn das!?“
(Loriot, Pappa ante Portas)

Seit 2010 habe ich einen Großteil meiner Zeit und Kraft in den Journalismus gesteckt, erst bei Hinz&Kunzt und dann bei der Frankfurter Rundschau. Es war ereignisreich, es war anstrengend, es war lehrreich, es war großartig. Und es war wunderschön, dass ich für meine Arbeit so viel Kritik, aber auch so viele positive Rückmeldungen und Zuspruch erhalten habe. Doch ab sofort dürfte es hier, in der Rundschau und auch auf meinem Twitter-Kanal etwas ruhiger werden, denn ich gehe für ein Jahr in Elternzeit. Je nachdem, wie dieses Vollzeit-Praktikum in der Sorgearbeit so läuft, könnte es trotzdem ab und an etwas von mir zu lesen geben. Wir werden sehen.

Vielen Dank, stay tuned und bis bald!

25. März 2016
von Hanning Voigts
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Von NPD-Kadern und Flüchtlingen

Wie eine kleine Meldung aus Hessen einmal um die Welt ging.
(am Ende dieses Textes findet sich ein Update vom 2. April 2016)

Büroalltag. Es ist Montag, später Nachmittag, die Zeitung für den nächsten Tag ist im Großen und Ganzen fertig. Die Hektik, die meist am frühen Nachmittag herrscht, ist vorbei. Und dann passiert etwas, was alle Journalist_innen kennen: Sie bekommen überraschend einen Hinweis. Meist sind es Leser_innen, Kolleg_innen oder regelmäßige Informant_innen, ab und an aber auch Fremde, die mit einem Informationsbrocken um die Ecke kommen: „Hör mal, ich hab da vielleicht eine Geschichte. Interessiert euch das?“ Regelmäßig gehe ich solchen Hinweisen nach, recherchiere ihnen hinterher, regelmäßig kommt nichts dabei heraus. Manchmal lässt sich eine Geschichte partout nicht erhärten. Oder an den Vorwürfen, die irgendwer erhebt, ist bei Lichte betrachtet gar nichts dran. Unter Kolleg_innen wird dann gescherzt, man habe die Geschichte „totrecherchiert“. Manchmal werden aus unscheinbaren, schrägen Hinweisen aber auch die besten Texte. Weiterlesen →

12. Dezember 2015
von Hanning Voigts
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Mich kann man buchen!

Das Jahr 2015 neigt sich dem Ende zu. Wenn ich so zurückschaue, war ich in diesem Jahr ganz schön viel unterwegs. Wie schon 2014 hatte ich das große Glück, immer wieder eingeladen zu werden, um eine Veranstaltung zu moderieren, einen kleinen Vortrag zu halten oder an einer Podiumsdiskussion teilzunehmen. Ich durfte unter anderem mit Offenbacher Schüler_innen über Grundrechte streiten, mit jungen Kolleg_innen über Haltung und Neutralität im Journalismus diskutieren und im Freiburger Theater etwas über den NSU-Komplex in Hessen erzählen. Was ich neben meiner normalen Arbeit alles so getrieben habe, kann man hier nachlesen.
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29. November 2015
von Hanning Voigts
7 Kommentare

Rappen gegen Kaltland

Zeiten großer Konflikte sind Zeiten großer Songs. Oder, genauer: Wenn gesellschaftliche Probleme sich zuspitzen und sie selbst im Alltagsleben der Menschen nicht mehr zu übersehen sind, dann gibt es reichlich Material für Widerspruch und Kunst. Spätestens im Laufe dieses Jahres, unter dem Schlagwort einer „Flüchtlingskrise“, ist auch im allgemeinen Bewusstsein angekommen, dass die deutsche Gesellschaft in der Krise steckt. Selbstverständlich hat die steigende Zahl von Geflüchteten diese nicht ausgelöst, vielmehr überlagern sich schon seit einigen Jahren in ganz Europa eine Reihe ökonomischer und sozialer Phänomene: Die Finanz- und Weltwirtschaftskrise von 2007/2008 ist nicht gelöst, das Wanken des Euros und das sich anschließende Staatsschuldenproblem hat zu massiven politischen und sozialen Verwerfungen in der EU geführt, die instabile Lage nicht nur im Nahen Osten zeigt, dass von einem „Ende der Geschichte“ (Fukuyama) und einem historischen Trend zu stabilen, liberal-kapitalistischen Gesellschaften keine Rede sein kann. Kurz gesagt: Die Krisenhaftigkeit der Moderne tritt derzeit so machtvoll auf den Plan wie seit 1989/90 nicht mehr.
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23. Juni 2015
von Hanning Voigts
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Nicht lustig.

Am vergangenen Samstag hat ein neuer Pegida-Ableger namens „Widerstand Ost West“ in Frankfurt demonstriert. Statt erwarteter 1000 Teilnehmer_innen sind nur knapp 200 Islamfeinde, rechte Hooligans und Neonazis dem großspurigen Aufruf von Ester Seitz, Uwe Mindrup und den anderen Organisator_innen gefolgt, „alle deutschen Patrioten auf einer Demonstration“ zu vereinen und auf dem Roßmarkt ein bisschen „Ahu!“ und „Antifa, Hurensöhne!“ zu brüllen. Weit mehr als 2000 Menschen, von Politiker_innen über Gewerkschafter_innen bis hin zu Antifa-Aktivist_innen, stellten sich dem rechten Mob in den Weg – und am Ende sah dessen Bilanz wirklich mehr als bescheiden aus.

Ich hatte schon relativ früh, nämlich Ende April, von dem geplanten Aufmarsch erfahren und Widerstand Ost West von Anfang an journalistisch begleitet – auch auf Twitter. Viele Leute, die wissen wollten, was sich da in Frankfurt zusammenbraut, sind mir daher gefolgt, gerade in den letzten Tagen vor der Demonstration. Über Twitter habe ich kurz vor dem Demo-Samstag auch über den Fortgang des Rechtsstreits zwischen der Stadt Frankfurt und Widerstand Ost West informiert: Die Stadt hatte versucht, die rechte Kundgebung nach Fechenheim und damit in den Osten der Stadt zu verbannen, die Veranstalter_innen klagten auf eine Kundgebung in der Innenstadt – und bekamen vorm Frankfurter Verwaltungsgericht Recht. Da die Stadt noch in die nächste Instanz vor den Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel (VGH) zog, war am Freitag für alle Beobachter_innen unklar, wo die rechte Demo jetzt eigentlich stattfinden würde. Weiterlesen →